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Ein Plädoyer der Verbundenheit von Gerald Hüther & Christa Spannbauer

Die neuen Wissenschaften bestätigen uns heute, was die Weisen aus Ost und West immer schon lehrten: Die Welt ist nicht eine Ansammlung voneinander isolierter Teile, sondern ein lebendiges Netz, in dem alles miteinander verbunden und wechselseitig voneinander abhängig ist. In dem von Gerald Hüther und mir herausgegebenen Buch Connectedness. Warum wir ein neues Weltbild brauchen wird diese Welt der Verbundenheit aus wissenschaftlicher Perspektive sichtbar.  

Versuchten in den vergangenen Jahrhunderten die Wissenschaften noch, der Welt ihre Geheimnisse zu entreißen, indem sie diese in immer kleinere Teile zerlegte, so sind heute immer mehr Wissenschaftler darum bemüht, die auseinander gebrochenen Teile über die Grenzen der Disziplinen zu einem Ganzen zusammenzufügen. Die Pioniere und Wegbereiter eines neuen systemischen Weltbilds aus Physik, Biologie und Ökologie zeigen eindrücklich auf, dass die wesentlichen Eigenschaften jedes lebenden Systems nicht in den isolierten Einzelteilen zu finden sind, sondern erst durch die Wechselwirkung und die Beziehungen zwischen den Teilen entstehen. Die Welt enthüllt sich somit als ein integrales Ganzes, das weit mehr ist als eine Ansammlung von unverbundenen Teilen, sondern als ein Lebensnetz, das auf Verbundenheit, Kooperation und gegenseitiger Abhängigkeit basiert. Mit diesem Systemdenken vollzieht sich eine tiefgreifende Umwälzung in den wissenschaftlichen Disziplinen.

Die wissenschaftliche Entdeckung, dass alles mit allem verbunden ist, ist alles andere als eine neue Erkenntnis. Bereits zu allen Zeiten und in allen Kulturen wurde sie von Menschen gemacht. Das holistische Weltbild der neuen Wissenschaft bestätigt das, was die Weisheitstraditionen aus Ost und West immer schon lehrten: Es gibt nur das Eine. In diesem lebendigen Kosmos gibt es keine getrennten Teile, nichts kann aus diesem Netz herausgenommen werden, ohne gravierende Folgen für das gesamte Gefüge nach sich zu ziehen. Solch eine Weltsicht, in der alles, was existiert, ein dynamisches, miteinander verwobenes und voneinander abhängiges Beziehungsgeflecht ist, stellt jedoch nach wie vor eine Herausforderung für das von Dualismen und Trennungen geprägte Weltbild des westlichen Abendlandes dar, dem seit dem 19. Jahrhundert zudem die Maximen des kapitalistischen Wettbewerbs und die Darwinsche Doktrin vom „Kampf ums Dasein“ eingeschrieben sind.       

In keinem anderen gesellschaftlichen Bereich hat die Darwinsche Ideologie von der „natürlichen Auslese“ einen solch gnadenlosen und rücksichtslosen Konkurrenzkampf entfesselt wie in der Wirtschaft. Die von Darwin in seiner Evolutionslehre proklamierte These vom „Überleben des Tüchtigsten“ wurde zum bestimmenden Paradigma für die moderne kapitalistische Gesellschaft. Damit wurde das Band menschlicher Verbundenheit radikal durchtrennt und Konkurrenz statt Kooperation, Egoismus statt Ethik zu den Leitmotiven des neuzeitlichen Menschen gekürt. Diesem neuen Leitbild folgend wurde die Tendenz zur rationalen Vernunft und Selbstbehauptung in den Industriegesellschaften überbetont und die integrativen, das Gemeinwohl fördernden Tendenzen zunehmend vernachlässigt.

Es ist zweifelsohne an uns, den Wandel von einem egoistischen und destruktiven Wirtschaftssystem hin zu einem auf das Leben und die Zukunft ausgerichteten Wirtschaften der Nachhaltigkeit zu vollziehen. Denn wir haben zugelassen und haben sogar aktiv dazu beigetragen, dass dieses Wirtschaftssystem sich in dieser Weise entwickeln konnte. Es verschaffte uns Vorteile, es eröffnete uns Möglichkeiten, die wir bis dahin nicht hatten. Wir haben es dazu benutzt, um ein möglichst angenehmes und bequemes Leben zu führen – und das auf Kosten anderer, die in diesem inzwischen global gewordenen Wettbewerb auf der Strecke geblieben sind. Die heutige Krise wurzelt tief in unseren Einstellungen und Ansichten. Sie ist die Folge unserer Abspaltung und Trennung aus dem lebendigen Netz des Lebens.  

Zugleich erleben wir derzeit zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte, wie an vielen unterschiedlichen Orten dieser Welt menschliche Gemeinschaften, die zum Teil über lange Zeiträume hinweg getrennt waren und verschiedene Wege gingen, in Kontakt miteinander kommen, sich austauschen und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Das große Projekt der Verbundenheit, das Menschen seit jeher versucht haben, in die Tat umzusetzen, ist nun im 21. Jahrhundert erstmals als globales Unternehmen in Gang gekommen. Damit ein Projekt von einer solchen Tragweite gelingen kann und der wechselseitige Austausch ermöglicht wird, müssen wir das Band stärken, das Menschen über ihre Unterschiedlichkeit hinaus miteinander verbindet. Und wir müssen genau das überwinden lernen, was unser Denken, Handeln und Fühlen über so viele Jahrhunderte hinweg bestimmt hat: die Angst vor dem Fremden. Hierfür gilt es Brücken zu bauen, Vertrauen zu stiften, Umsicht und Geduld an den Tag zu legen, um das zur Entfaltung bringen, was wir in der heutigen Zeit so dringend brauchen: Verständnis für Menschen aus anderen Kulturen und Kreativität bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen der großen Menschheitsprobleme. Wer sich weiterentwickeln will, muss in Beziehungen denken und in Beziehungsfähigkeit investieren. So können wir alle miteinander und aneinander wachsen und unser Potential zum Wohle der Welt entfalten.


Denn wir haben weltweite Aufgaben zu lösen, die das Zusammenwirken aller Beteiligten dringend erforderlich machen. Allerorten ist ein Erstarken eines neuen bürgerschaftlichen Engagements und die Entwicklung und Stärkung einer Zivilgesellschaft zu verzeichnen , in der von engagierten Menschen entscheidende Veränderungsimpulse gegeben werden, neue Handlungsspielräume eröffnet und nachhaltige Zukunftsmodelle entwickelt werden. Bürgerschaftliches Engagement tut sich in den vielen Bürgerinitiativen, den weltweiten politischen Protestbewegungen und ihrem unüberhörbaren Ruf nach Demokratisierung und gerechter Verteilung der Ressourcen ebenso kund wie in dem freiwilligen und nicht von materiellen Interessen bestimmtem Einsatz vieler Menschen für das soziale Gemeinwohl. Menschen mischen sich ein und zeigen sich immer weniger dazu bereit, unhaltbare und ungerechte Zustände hinzunehmen.

Wir müssen unseren Blick schärfen für das, was das Leben bewahrt, was Neues in die Welt bringt, was Hoffnung erweckt. Wir haben viel bewegt und viel zerstört. Nun ist es an der Zeit, zu bewahren und nachhaltig zu gestalten. Dem menschlichen Vernichtungswillen scheint eine ältere Einsichtsfähigkeit und Weisheit entgegenzuwirken, die uns in einer Art und Weise mit allen Lebewesen auf diesem Planeten verbindet, die bislang unvorstellbar schien. Darin liegt das Versprechen der weltweiten ökologischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Bewegungen: Als gemeinsame Bewohner dieser Erde zu entdecken, dass wir eine globale Familie sind.

Gerald Hüther & Christa Spannbauer. Connectedness. Warum wir eine neue Weltsicht brauchen.

 

 

 

 

 

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